Serious Games Conference 2009
Am 6. März fand im Rahmen der CeBit die Serious Games Conference mit Verleihung des Serious Games Award statt. Ausgerichtet wurde das Ganze von der nordmedia und dem BIU.
Vor Ort entpuppte sich das Ganze tendenziell als eine Schlipsträgerveranstaltung, was natürlich auch am Messeumfeld lag. Von der Optik und Atmosphäre her auf jeden Fall keine "Macher". Die kamen dafür auf der Bühne zu Wort.
An mir bekannten Gesichtern aus dem akademischen Bereich waren neben Prof. Wolfgang Müller und meiner Wenigkeit noch Prof. Maic Masuch und Dr. Stefan Göbel vor Ort.
Im Folgenden jeweils ein kurzer Abriss zu den einzelnen Vorträgen.
Noah Falstein
Falstein ist Freelancer, war früher bei LucasArts (u.a. "Fate of Atlantis"). Er sieht heute in Serious Games mehr Potential, als in klassischen Spielen 30 Jahre zuvor lag. Als Vorteil der bestehenden Spielinidustrie für Serious Games benennt er, dass sie an die Entwicklung wettbewerbsorientierter Produkte gewöhnt ist.
Zwischendurch versteigt er sich in den aus meiner Sicht klassischen Fehlschluss "the thing about Serious Games is blending fun and learning". So gesehen werden Spiele nicht als eigenständiges Lernmedium gesehen, sondern als Add-on, dass dem öden Lernen den Spaß ergänzen soll. Das ist natürlich Unsinn. Später korrigierte er diesen Blick aber noch.
Er stellte anschließend die Taxonomy von Ben Sawyer und Peter Smith vor (ab Slide 28), in der Spielekategorien und Anwendungsfälle in eine Matrix gefasst werden.
Als anzustrebende Technik benannte er das stealth learning: "the learning is optional; it is more fun than the ususal drill; fun is important, but not essential; the more you learn, the better you do in the game". Abschließend bemerkte er, dass dieses Konzept schwer gut umzusetzen sei.
Zur Gestaltung von Serious Games meinte er, dass es nicht WoW sein müsse, so lange es besser sei als die üblichen langweiligen Trainings. :-) Das deckt sich mit Einschätzungen, die Alexander Marbach und ich bereits publiziert haben.
Als es dann an das Vorführen einer aktuellen Arbeit ging, lief diese bedauerlicherweise nicht; es geht dabei um das Training von Netzwerkspezialisten bei Cisco. Was man sehen konnte, sah quizartig aus und blieb hinter den Erwartungen, die der Vortrag aufgebaut hatte, zurück.
In der anschließenden Publikumsrunde wurde durch die teils naiven Nachfragen deutlich, dass Vorstellungen und Methodik in diesem Bereich noch auf einem sehr einfachen Niveau sind. Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin müssen und können.
Webseite: www.theinspiracy.com
Pjotr van Schothorst (VSTEP)
VSTEP beschäftigt über 40 Mitarbeiter und hat seit 2002 35 Serious Games produziert. Spezialgebiet sind auf einer 3D-Engine basierende Simulationen für Noteinsätze, Feuerwehren oder die Marineausbildung.
Er bemerkte, dass das Handhaben eines Feuerwehrschlauches natürlich nicht mit einem Serious Game trainiert werden könne. "The benefit of Serious Games is in the decision making power."
Da VSTEP sowohl Ein- als auch Mehrspielerszenarien entwickelt, konnte er erläutern, dass eine Multiplayeranwendung sehr viel einfacher zu entwickeln ist als ein Singleplayer-Spiel mit KI-Ergänzung. Das ist zwar bekannt, aber es war gut, dass das mal jemand mit Expertise ausspricht.
Interessant fand ich, dass die Firma, nachdem sie eine Schiffssimulation entwickelt hatte (physikalisch korrektes Herumschippern in einer Bucht), von einem Publisher quasi angesprochen wurde, ob sie das nicht als reines Spiel herausbringen wolle. Basierend auf dem selben Kern, der für ernsthafte Trainings verwendet wird, wurden so bisher über 400.000 Kopien an Hobby-PC-Kapitäne verkauft. Spannend.
Auf einem Screenshot war ein brennendes Haus zu sehen, umgeben von Polizisten, Feuerwehrleuten, Passanten. Das veranlasste mich zu der Frage, wer denn die KI dahinter entwickle - das würde doch wohl kaum in-house gemacht werden. Tatsächlich besteht in dieser Hinsicht eine Zusammenarbeit mit der Uni Utrecht (ich nehme mal an mit der Intelligent Systems Group). Die finden diese praktische Anwendung für ihre Agenten wohl richtig klasse. Tja, wer würde das nicht?
Maic Masuch fragte angesichts der doch ganz ordentlichen 3D-Darstellungen, wie wichtig Fotorealismus sei. Das hänge vom Kunden ab, war die Antwort, der könne natürlich alles bekommen, aber die Erwartungen seien üblicherweise recht niedrig. Allerdings ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, dass der Kunde mit einer Software auch gerne vor anderen angeben möchte. ;-)
Bill Cole (ThyssenKrupp)
"Anything that floats and is big and expensive — we are the people for that." Das ist mal ne Ansage! Gezeigt werden soll die CryEngine 2. Fand ich weniger interessant und habe es mir geschenkt.
Pressekonferenz
Die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und die FH Braunschweig/Wolfenbüttel haben eine Zusammenarbeit mit der Games Academy GmbH begonnen. Nach einen Grundstudium an der privaten Games Academy kann an einer der beiden Hochschulen ein Bachelorabschluss erworben werden.
Die möglichen Bildungswege sahen etwas verschlungen aus, was bei drei Partnern und ich glaube fünf Abschlüssen nicht verwundert. Als Kooperation trotzdem interessant, und grundsätzlich ist heute erstmal alles zu begrüßen, was eine Ausbildung in diesem Feld mit dem etablierten akademischen Lehrbetrieb verknüpft.
Damian Nolan (Daesign)
Daesign macht u.a. Handyspiele, interactive television, Browsergames usw. Sie haben sich dann mit der Simulation menschlichen Dialoges befasst und eine entsprechende AI-Engine geschrieben. Zitat: "Wir hatten dann diese Technik und wussten nicht so richtig, was wir damit anfangen sollten." :)
Die Anwendung wurde dann schließlich Personalschulung in Kommunikation, genannt Performance Management Review Training. Damit wurden über 2000 Manager trainiert. Der Einsatz eines Serious Games sparte dem Kunden dabei über 1,3 Millionen.
Die Anwendung selber kommt als eine stilisierte, aber sehr schick gemachte Visualisierung von Bürosituationen daher. Es gibt Sprachausgabe. Der Anwender kann per multiple choice Dialoge führen oder Stimmungen angeben, z.B. Zustimmung, Ablehnung, Entschuldigung etc. Im Endeffekt sind das "nur" branching trees, aber wirklich schön inszeniert, mit Schuss-Gegenschuss in Dialogen. Die Engine arbeitet generativ, so dass nicht alles von Hand erstellt werden muss. Fazit: ein aufwändiges, ansehliches und vor allem funktionierendes Produkt. Stark.
Auf der Website gibt es leider nur eine spärliche Vorschau, aber es gibt ein Video auf YouTube.
Roman Schönsee (Ranj Serious Games)
Ranj hat 1995 angefangen und sich bereits 1999 auf Serious Games spezialisiert. Aktuelles Spezialgebiet ist mission-based leadership training mit Schwerpunkt Projektmanagement. Vorzeigeprodukt ist Sharkworld, wo der Spieler im fernen Osten ein Haiaquarium aufbauen muss. Das Projektmanagementtraining beinhaltet natürlich eine dröge Planungssoftware, aber auch Videoclips von Kunden, Mitarbeitern, Behördengesprächen, und das Spiel überwindet Mediengrenzen, indem es "off-game" SMS oder E-Mails sendet. Die Dialoge sind wieder multiple choice. Wieder ein enorm aufwändiges Produkt, das sich sehen lassen kann.
Schönsee wies darauf hin, dass Serious Games aus seiner Sicht nicht als Ersatz etablierter Schulungsmethoden einmarschieren, sondern eine "innovative Ergänzung" darstellen.
Thomas Kasemir (IBM)
Bei IBM wurde ich den Eindruck nicht los, dass der Referent sich im Anlass, Publikum und Jahr geirrt hatte. ;-) Hauptthese war: "Das Internet wird 3D!" Huch! Reckt VRML seine Hand aus dem Grab? Hatten wir das nicht alles schon mal?
Gut, mit dem indirekten Hinweis, dass WoW eigentlich eine Internetanwendung ist, die ohne die Etablierung dieses Mediums so gar nicht möglich wäre, hatte er einen Punkt.
Ansonsten hat IBM ein Second Life-ähnliches Tool für virtuelle Meetings gebaut ("Sametime 3D"). Mit virtuellen Klebezetteln. Der Saal tobt. :>
Wilhelm Braunschober (Kraus-Maffei Wegmann)
Mit Braunschober betrat ein Simulationsveteran die Bühne, der seit 1972 im Geschäft ist. Sein "Games vs. Simluation" war ein etwas großväterlich vorgetragener, aber enorm kompetenter Vergleich der beiden hinsichtlich Bedürfnissen, Soft- und Hardware, gegenseitigem Profit und Befruchtung. Auch Firmenwanderungen im Spannungsfeld Game - Serious Game - Simulation wurden beleuchtet.
Auf die Publikumsfrage, wo denn nun die Grenze zwischen Simulation und Serious Game sei, antwortete Braunschober mit dem Zitat des Tages: "Wenn ich einen Egoshooter spiele, um meine Depression zu vertreiben — dann ist das ein Serious Game."
Udo Sonne (Lufthansa), Torsten Schulz (Fraunhofer Fabrikbetrieb)
Die Lufthansa setzt Simulationen an der Grenze zu Serious Games unter anderem in der Pilotenausbildung ein, was keinen wundern wird. Interessant war, dass für die meisten Anwendungen die Forderung gilt, dass sie auf einem Standard-Büro-PC laufen müssen. High End GPUs fallen damit schon mal weg. Zweiter spannender Punkt: die Softwareentwicklung findet fast ausschließlich in-house statt.
Insgesamt gab es Dutzende Simulationen, für einen großen Konzern halt: Planung, Sprachtraining, Wartung usw. Gezeigt wurde die Fehlersuche an einem geparkten 3D-Flugzeug. Durch detailliertes Logging, ein wie sich zeigte typisches Merkmal von Serious Games, wurden die Schritte des zu Trainierenden nachvollziehbar.
Resümee: Prof. Wand (HS Bildende Künste Braunschweig), Sylvius Lack (Serious Matters)
Prof. Wand dürfte als einer der Gründer von Pixelpark bekannt sein. Aktuell befasst er sich auch mit Interactive Storytelling, meinem Forschungsgebiet. Sein Resümee wurde aber leider eher eine Selbstdarstellung.
Sylvius Lack stellt sich kurz vor (ist seit 15 Jahren in der Spielindustrie) und kommt dann zur Sache. Zuerst eine kluge, engagiert vorgetragene Zusammenfasung, um dann zu ein paar wirklich guten und fundamentalen Fragen zu kommen. Sein Bezug auf Huizinga weckt bei mir Begeisterung, vor lauter 3D-Simulationen haben wir fast das Spielen aus den Augen verloren. Laut Lack sei das Ziel bzw. der Trick, das Spielerische zu behalten und trotzdem eine äußere Anwendung zu haben (was dem Spiel als solchem sonst wesensfremd ist). Seine Schlussfrage: Was ist mit fundierter Begleitforschung, konkreter Evaluation? Hier ist Bedarf!
Prof. Wand wirft noch einmal ein, dass viele Produkte einfach nur Game-Technologien nutzen. Das macht sie noch lange nicht zum Spiel. Lack schließt: "Serious Games sind für mich eine Nagelprobe des Mediums — was steckt da noch drin?"
Serious Game Award 2009
Best Educational Game: "Frag mal doch mal... die Maus". Ein familiengerechtes Quiz mit Minispielen und einem Player für Lach- und Sachgeschichten. Schön, aber nicht spektakulär und nun gar nicht innovativ. Ich frage mich, wie die anderen Einreichungen aussahen. ;-)
Best Persuasive Game: "Imagine Earth". Ein Studentenprojekt, bei dem in Form einer Aufbausimulation ein Planet gepflegt werden muss. Die Grundidee ist die Förderung nachhaltiger Technologien und Denkweisen.
Best Health Game: "Zweistein - Lernen, Trainieren, Spielen". Ein Spiel für Kinder mit ADHS oder Dyskalkulie, das mit einem ergänzendem Fachbuch und eingebauten Messmechanismen zur Diagnostik und Auswertung für Fachleute kommt. Das Spiel besteht aus Aufmerksamkeits- und Rechenübungen, die in ein sehr professionell aussehendes Kinder-RPG-Adventure nahtlos eingebaut sind. Das Spiel wurde mit über 200 Kindern evaluiert und bezieht natürlich aktuelle Forschungsergebnisse ein. Bemerkenswerter Satz in den Dankesworten: "Es war uns wichtig, Kinder zu erreichen, und nicht, Erwachsene zu überzeugen."
Best Corporate Game: "World of Subways Vol. 1 - The Path". Ein U-Bahn-Simulator mit dem originalen New Yorker Netz. In einer sonst fetzigen Präsentation durfte die wenig spektakuläre Optik bestaunt werden: Menschen auf den Bahnsteigen stehen still, und es ruckelt fürchterlich. Hier stellt sich nochmal die Frage nach der Konkurrenz, wenn das das "beste" gewesen sein soll.
Persönliches Fazit
Für mich war das die erste geballte Begegnung mit Machern von Serious Games. Die gebotenen Einsichten waren teils tief und immer interessant. Auf der Bühne stand eine Auswahl an Menschen, die einfach loslegen und sich nicht zu lange mit der Theorie aufhalten. Das ist mir als Akademiker durchaus etwas fremd. ;-)
Anhand der Spiele zeigte sich überdeutlich, dass wir noch lange nicht angekommen sind. "Serious Games" ist nach wie vor ein Hülsenwort. Ich fürchte, so lange es die "Digital Games Science" nicht wie von Jantke gefordert zu einer wissenschaftlichen Disziplin mit ausgearbeiteter Methodik und Begrifflichkeit gebracht hat, werden auch "Serious Games" in erster Linie nur das sein, was der jeweilige Entwickler darunter verstehen will. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass auf der "Serious Games Conference" sehr wenige "Games" zu sehen waren. Schauen wir gespannt auf das nächste Jahr.