Rückblick NordCon 2011
Vom 3. bis 5. Juni 2011 fand der 15. NordCon in Hamburg statt. Bei sonnigem Wetter zog Deutschlands größte verlagsunabhängige Convention wieder Scharen begeisterter Rollenspieler an. Ein Rückblick.
Vom Eingangszelt auf dem Schulhof, entlang der Turnhalle und bis hinaus auf den Fußweg zieht sich die abendliche Warteschlange. Anwohner beäugen mißtrauisch die schwarz gewandeten Gestalten. Doch das Spektakel ist dem Stadtteil inzwischen bekannt, und der Andrang zeigt, dass der zusätzliche Tag etabliert ist: Freitag geht der NordCon los.
Während sich die ersten Spielrunden füllen und auf der Wiese noch Zelte festgezurrt werden, eröffnet Lars Schilling um 21:00 Uhr die NordCon-Workshops mit seinem Vortrag "Fantasielose Fantasy". Vor 15 Zuhörern wirbt Lars für eine Loslösung von klassischen Fantasy-Strukturen und setzt ihnen drei alternative Ansätze entgegen: materialistisches Rollenspiel, das sich streng an physikalischen Möglichkeiten und Plausibilität ausrichtet, meiner Meinung nach aber treffender materialistisch-simulationistisch heißen sollte; kosmizistisches Rollenspiel, ein von Lovecraft entlehnter Begriff, der die existenzialistische Einsamkeit einfangen soll, dass wir "dem Universum egal" sind; und schließlich verne-iges Rollenspiel, für dessen genaue Erklärung zu vorgerückter Stunde Lars leider zu wenig Zeit bleibt.
Am Samstag setzte Helge Delank mit seinem Workshop-Debut "Kampagnen vorbereiten" fort und zog bereits 11:00 Uhr 38 Zuhörer an. Helge ging umfassend auf alle Aspekte einer Kampagnenvorbereitung ein. Wie schon am Abend zuvor kam das Thema wiederholt auf den Tod von Spielfiguren; ein Publikumsvorschlag war, dass jeder Spieler bei der Figurenerschaffung bereits seinen favourite death aufschreibt: "wenn meine Figur stirbt, dann bitteschön so!"
Helges Workshop im Trollturm
Als nächstes sprach Marco Ansing zu "Kreativ reagieren auf Spieler". Er ging vor allem auf Improvisationstipps und -techniken ein; sehr gut zusammengestellt, aber mir fehlte mit der Zeit das im Titel angekündigte "reagieren", d.h. Eingehen auf ausgefallene Ideen oder Aktionen der Spieler. Interessant ist, dass Marco die Knoten eines Abenteuergraphen "Wegmarken" nennt - sehr poetisch.
Marcos Workshop im Trollturm
Mit 49 Zuhörern zu Beginn pendelte sich bei Marco die durchgehend hohe Teilnehmerzahl ein, die ich so noch auf keinem anderen Con in systemunabhängigen Spielleiterworkshops gesehen habe. Hier hat der NordCon ein echtes Alleinstellungsmerkmal.
Tobias Radloff, Autor und Musiker, behandelte im Workshop "Eine Frage des Characters" dann, wie schon die Anlage einer Figur den späteren Spielspaß beeinflussen kann. Merkspruch:
"Böse - dogmatisch - beides problematisch!" :-)
Parallel sprachen Ole Johan Christiansen und Thomas Plischke über "Einakter, Heldenreise und Saga: Erzählstrukturen in Rollenspiel und Roman". In ihrer gewohnt unterhaltsamen Art führten sie in die Grundlagen dramaturgischer Stoffgestaltung sowie in Campbells "Heldenreise ein. Interessant fand ich Thomas' Analyse:
"Ein Grund für die Popularität von Online-Rollenspielen ist das fortwährende Belohnen. Man haut in der Regel nicht daneben."
Um 15:30 Uhr folgte mein Vortrag "Shakespeare für Spielleiter". Ich hatte das Gefühl, dass er gut ankam; Details zum Inhalt folgen in nächster Zeit auf der Spielleiterwerkstatt.
In Andreas Rothes Workshop "Dea Tacitus - Rollenspiel im historischen Setting" nahm erstmal seine komplette Spielrunde, teilweise in Toga, auf der Bühne Platz und demonstrierte, wie man sich während des Spieles diegetisch ernährt. Andreas sprach über die Herausforderungen und Aspekte des Kampagnendesigns für historische Schauplätze. Tipp:
"Schreib deine Beschreibungen nicht wie einen Diercke-Atlas, sondern wie einen Reiseführer. Figuren wollen wissen, wo die Kneipen, die Huren und die Pferdewetten sind!"
Der Workshop schloss mit einer Verbraucherinformation über epochenechte Keramik von einem Stand von der Larp-Wiese - eine unerwartete wie praktische Synergie zwischen drinnen und draußen.
Alle Jahre wieder: Action auf der Larp-Wiese
Lars Schilling holte dann mit "Pfiffiges Spielleiten - Wie man mit wenig viel erreicht" vor vollem Saal zum großen Wurf aus. Er sprach über Dinge, Konzepte und Tätigkeiten, mit denen der Spielleiter sich das Leben leichter machen kann, und stellte erstmal klar:
"Ihr regiert mit der Duldung der Spieler. Rollenspiel ist also so eine Art konstitutionelle Monarchie."
Neben den Tarot-Karten, die schon in vorherigen Vorträgen zu sehen waren, stellte Lars dann ein buntes Potpourri aus Tipps wie Kaliumpermanganat zum Altern von Papier, Sanduhren, deren obere Hälfte verdeckt ist, einem Spielleiterschirm mit Improvisationshilfen sowie lebenden Fliegen, die in einer Schachtel mit einer geheimen Botschaft versteckt sind, vor. Und schloss dann völlig entgegen seiner Gewohnheit zehn Minuten vor der Zeit.
Blick auf den Hof
Zur Nacht gab es mit Mannstoll eine richtig gute Feuershow - nachdem deren Qualität in den letzten Jahren sehr schwankte, war dies eine sehenswerte Performance, die man auf dem Niveau gerne wieder sieht.
Am traditionell etwas ruhigeren Sonntag las Tobias Radloff aus seinem neuen Roman "Schwarzpeicher". Er erzählt eine bedrückend aktuelle Geschichte aus einer Zukunft der Lifestreams und verbotener lokaler Datenträger. Das Thema ist hochspannend, der Roman steht auf meiner Leseliste.
Andreas Flügge hielt einen Workshop über "Rollenspiel in Mittelerde - Tabus und Chancen teilweise bekannter Welten". In kleiner Runde konnten sich die Tolkien-Anhänger intensiv austauschen.
Mittelerde-Expertenrunde im Trollturm
Professor Gunter Rehfeld von der HAW Hamburg informierte zusammen mit Studenten über "Games-Studium für Designer, Illustratoren und Informatiker". Ich bin ein großer Freund von Synergien und überlege seit Jahren, wie man den NordCon noch weiter öffnen kann, aber dieser Programmpunkt wirkte seltsam deplatziert und losgelöst von dem sonstigen Geschehen.
Näher dran waren da Thomas Finn, Thomas Plischke und Ole Johan Christiansen, die in der Aula ein gut gelauntes Seminar über "Das Geheimnis packender Roman- und Filmfiguren" hielten. Nachdem sie ihre Quellen Vogler und Jung vorgestellt hatten, drehte sich alles um Helden, Schatten, Mentoren, Verbündete, Wächter der Schwelle, Gestaltwandler und Trickster, inklusive Quiz und mit lebhafter Publikumsbeteiligung.
Den letzten, aber hochinteressanten Vortrag des Tages hielten Adrian Weiskeller und Simone über "Rollenspielrunden über Teamspeak". Die beiden gehören der Webplattform drachenzwinge.de an, die Rollenspieler, die per VoIP spielen wollen, miteinander vernetzt und aktuell beeindruckende 629 Mitglieder zählt. Warum sollte jemand dieses Medium wählen? Grund können große Entfernungen und Auslandsaufenthalte sein, oder friedlich nebenan schlafende Kinder, die nicht alleine bleiben können. Als positive Effekte berichteten sie von dichterer Atmosphäre, einfacheren Einstieg ins Charakterspiel und eine niedrigere Schwelle für das Ausprobieren neuer Systeme. Ausführlich wurde Technik und Software wie Teamspeak und Mumble erläutert und die Einbindung von Musik und Online-Karten erklärt. Klingt auf jeden Fall nach etwas, das man unbedingt mal ausprobieren sollte.
Bei gutem Wetter war an den Ständen reichlich Betrieb
Mein Fazit über den NordCon 2011 fällt rundum positiv aus. Die Organisation war wieder einmal sehr professionell, Programm, Stände und Publikum abwechslungsreich und die Stimmung entspannt und teils sogar richtig familiär. Insbesondere das Workshop- und Seminarprogramm mit jeweils oft über 50 Besuchern ist in Deutschland in dieser Form einzigartig, hier kommt etwa die ansonsten ambitionierte und vom Publikum gut angenommene RPC mit ihren computerfokussierten Pseudo-Workshops nicht mal in die Nähe. Die Mehrheit der NordCon-Vortragenden ist inzwischen in der Spielleiterwerkstatt organisiert und wird ihre Workshops und Seminare dort dokumentieren.
Dann heißt es zum Schluss zu Rotstift und Kalender greifen: der NordCon 2012 findet vom 1. bis 3. Juni in der Schule beim Pachthof in Hamburg statt. Bis dahin!
Florian Berger, im Juni 2011