florian berger

NordCon 2010 - Rückblick auf die Workshops

Conbericht mit kurzer Zusammenfassung von 12 Workshops, darunter Handouts und Audio, Detektivabenteuer, NSCe, Storytelling, Regelminimalismus, Spielleiter- und Spielertypen, Dungeons, Schurken, Plots und skandinavisches Rollenspiel.

Vom 4. bis 6. Juni 2010 fand der 14. NordCon in Hamburg statt. Die vor einigen Jahren beim Umzug auf das neue Gelände eingeführte Verlängerung auf den Freitag hat sich bewährt, kurz vor 20 Uhr bildete sich bereits eine gut gelaunte Schlange am Einlass.

Das Gelände

Der NordCon findet auf dem Gelände der "Schule am Pachthof" im Osten Hamburgs statt, die neben einem großen Schulhof zwei Turnhallen und einen Sportplatz bietet. Letzterer ist eigentlich ein großes Stück Rasen, das wie üblich von den Larpern und Reenactern in Beschlag genommen wurde.

Der Schulhof, zuletzt eine eher trister Übergang zwischen Wiese und Hauptgebäude, wurde diesmal erfreulicherweise von zahlreichen Händlern, unter anderem einem großen Pegasus-Stand, belebt. Auch wegen des guten Wetters wurde dadurch von früh bis spät de facto auf dem gesamten Gelände gespielt.

Das Hauptgebäude der Schule machte dagegen auf den ersten Blick einen etwas verwaisten Eindruck, zum einen, weil eine Reihe Händler nun im Freien präsent war, zum anderen, weil offensichtlich aus Brandschutzgründen die meisten Schulflure nicht mehr mit Ständen und Tischen verstellt werden sollten. Der intensiven Dauernutzung der Klassenzimmer als Spielräume tat dies keinen Abbruch, und die am Samstag eintreffenden Menschenmassen verteilten sich dadurch auch besser.

Workshops

Ob Pen&Paper-Rollenspieler, Larper, Fantasy-Leser, Sammler oder Hobbyautor, in Hamburg kommt traditionell jeder auf seine Kosten, was sich in einem dieses Jahr 30 Seiten starken Programmheft niederschlug. Eine besondere NordCon-Tradition sind dabei die zahlreichen Workshops und Vorträge für Spielleiter. Dieses Jahr gab es mehrfach über 50 Besucher pro Workshop, die von der Orga vorausschauend in den entsprechend großen Musiksaal gelegt wurden. Im Folgenden möchte ich die von mir besuchten Workshops und Vorträge vorstellen und kurz kommentieren.

Marco Ansing: Rollenspiel für alle Sinne

Mit dem ersten ersten Workshop des NordCon-Samstags konnte Marco gleich rund 50 interessierte Zuhörer in seinen Bann ziehen. Marco ging es darum, wie man beim Tischrollenspiel die Sinne der Spieler - Schmecken, Riechen, Tasten, Sehen, Hören - ansprechen und das Spiel mit wenig Aufwand plastischer gestalten kann. Neben verbreiteten Ideen wie Briefen, Karten oder Kerzenlicht sammelte Marco zusammen mit dem Publikum ungewöhnliche Einfälle wie Gifttränke mit Würmern, echte Münzbeutel, Schwarz- und Stroboskoplicht oder eine starrende Porzellanpuppe. Marco zeigte außerdem, wie sich mit freier Software passende Klangkulissen basteln lassen.

Der Workshop offenbarte, dass "Rollenspiel für alle Sinne" durchaus verbreitet ist. Marco betonte allerdings, dass dabei weniger mehr sei, weil es sonst zur Abstumpfung der Spieler kommen kann. Insbesondere was dudelnde Hintergrundmusik betraf, stimmten die Zuhörer zu.

Marco Ansing: Rollenspiel für alle Sinne auf der Spielleiterwerkstatt

Tobias Radloff: SL und die Detektive

Der DSA-Autor bekommt hiermit von mir den inoffiziellen Preis für das cleverste Workshop-Werbeplakat: Das klassische Buchcover, versehen mit den Spruch: "Geh du vor, dein Wert für Verfolgen ist besser"! :-)

Tobias sprach über Aufbau und Leitung klassischer Detektivabenteuer. Er wies darauf hin, dass es im Rollenspiel im Gegensatz zum Fernsehkrimi "keinen Autor mit absoluter Kontrolle gebe", und stellte zwei Spielleiterfraktionen vor: solche, die Täter und Fährten einmal unverrückbar festlegen, und solche, die die Hintergründe dem Fortschritt der Spieler anpassen und zur Not auch schon mal heimlich den Täter austauschen. Das deckte sich sehr gut mit meinen eigenen Thesen.

Neben Werkzeugen wie Indizienketten und Joker-Figuren gefiel mir vor allem Tobias' Metapher der Eskalationstreppe gut: in welchen Schritten geht der Erzschurke vor, wenn die Figuren ihm in die Quere kommen? Neben einigen Beispielen wies Tobias auf die Abhängigkeit von Motiven, Ressourcen und Temperament des Gegenspielers hin.

Ivo Mersiovsky: Here be dragons...

Der Programmtext versprach, D&D 4E mit Storytelling zu kombinieren, was für sich schon als interessantes Unterfangen gelten darf.

Ivos Ansatz war, ein Abenteuer in aufeinander folgende funktionale Einheiten zu zerlegen, etwa "Auslöser" - "Recherchen" - "Patt" - "Konfrontation" - "Lösung". Dieses Schema ist vergleichbar mit Campbells Heldenreise, aber Ivo erweiterte es dahingehend, dass für die einzelnen Abschnitte sowohl Ereignisse als auch Orte stehen können. Damit berührte er, möglicherweise ohne es zu bemerken, Thesen zum "spatial storytelling" oder "environmental storytelling", siehe dazu etwa

Ivo erläuterte dann, dass die selbe Funktion auch von verschiendenen Orten eingenommen werden könne, dass also etwa einem "Tempelvorplatz", einem "Räuberlager" oder schlicht der "Wildnis".

Unmerklich ging Ivos Vortrag dann in ein D&D4-Spiel zum Mitmachen über: unversehens hatten Spieler im Publikum Figuren erschaffen, die Projektion wechselte vom Flussdiagramm zur Karte, und man war mitten im Spiel. Von einer Wegkreuzung ging es über die Begegnung mit einer Räuberbande hin zu einem Hohlweg und einem Räuberlager, es wurde überrascht, gedroht und gekämpft.

Hier musste ich Ivos Workshop leider verlassen, da ich mir Thomas Plischkes parallele Lesung der Zombies anhören wollte, aber bis zu diesem Punkt war es eine interessante Form von Workshop.

Michael Reumann: Situations Awareness

Die Larp-Workshops auf dem NordCon sind meiner Erfahrung nach eher einfacher Art und richten sich an Einsteiger und Neulinge, richtig spannende Sachen fand ich da bisher jedenfalls nicht. Michaels Workshop, wie man schwierige (Kampf-)Situationen im Liverollenspiel meistert, klang im Programmheft interessant; als ich mich 20 Minuten nach Beginn dazusetzte, schien der Workshop aber bereits vorbei zu sein, und ich erlebte eine eher gemächliche Demonstration, dass man Gegner ja auch mal von hinten angreifen könne, wenn sie gerade nicht hinsehen. Na ja.

Lars-Hendrik Schilling: Der NSC, das unbekannte Wesen

Von diesem Workshop bekam ich leider nur noch die Schlussdiskussion mit, aber Lars hat den Workshop auf der Spielleiterwerkstatt dokumentiert:

Lars-Hendrik Schilling: Der NSC, das unbekannte Wesen auf der Spielleiterwerkstatt

Mit 64 Zuhörern dürfte Lars übrigens den diesjährigen Besucherrekord für Workshops halten. Wenn man bedenkt, dass parallel Lesungen, Spielrunden und Livekonzerte stattfanden (mal abgesehen von Larp-Schlachten und Tabletopspielen, die aber eine andere Zielgruppe ansprechen dürften), ist das Interesse der NordCon-Besucher an den Workshops wie eingangs schon geschildert beachtlich.

Nikolaus Bode: Weniger ist mehr

Nikolaus demonstrierte anhand seinen Systemeigenbaus "Slaughterhill" ein minimalistisches Regelwerk. Die abbildung unterschiedlich starker Kämpfer durch entsprechend größere Würfel (Steigerung von W4 auf W10, W20 und höher) zusammen mit einfachen Additionen wusste zu gefallen. Befragt dazu, was den ein Powergamer mit diesem System machen würde, antwortete Nikolaus: "... dass er gerne noch besser werden würde: da kann man ihn mal drücken oder so". ;-)

Andreas Rothe: Der Spielleiter hat immer recht - der Spieler auch

Andreas stellte die verschiedenen Funktionen vor, die ein Spielleiter im Rollenspiel einnimmt oder die ihm zugeschrieben werden. Er stellte ein Dreieck "Schiedsrichter" - "Regisseur" - "Moderator" auf, das dann von Publikum rege diksutiert wurde.

So wiesen anwesende Spielleiter darauf hin, dass der Spielleiter seine Autorität nur "von Gnaden der Spieler habe"; diese haben demnach durchaus das Recht, dem Spielleiter zu widersprechen, im Interesse des Spieles tun sie es nur nicht (immer).

Der Spielleiter-Extremfall "Regisseur", der allgemein mit starrem Plot und Railroading assoziiert wurde, könne, so einzelne Stimmen, praktisch für Neulinge sein, die sich erstmal orientieren müssten.

Sehr interessant fand ich auch den Einwurf, dass der Spielleiter sowas wie ein "Projektleiter" sei, der Ressourcen verwalten und das Erreichen von Milestones sicherstellen müsse. Eine interessante Metapher, auf die Andreas leider nicht weiter einging.

Aus dem Publikum kamen noch viele weitere Symboliken: der Spielleiter als Weltenbauer, Reiseführer oder als Dirigent.

Schön auch der Einwurf: "Es gibt Leute, die sind zufrieden mit dem, was sie machen, und es ist nicht an uns, ihnen zu sagen: das ist gar kein Rollenspiel, das ist gar kein Spaß, was ihr da habt!" :) Ein Satz, der in Internetforen Gehör finden sollte.

Zum Schluss sammelte Andreas von den anwesenden und räumlich sortierten Spielern und Spielleitern jeweils eine Liste, was sie aneinander nicht mögen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Spieler mögen an Spielleitern nicht:

  • Super-NSCe
  • keine Flexibilität
  • auf Sieg spielen
  • Railroading
  • Ideentöter
  • mangelndes Weltwissen
  • mangelndes Interesse an Spielerfiguren
  • Simulatoren

Und Spielleiter mögen an Spielern nicht:

  • Passivität
  • Überforderung mit der eigenen Figur
  • Sturheit
  • Regelfuchser
  • Egomanen
  • kein Feedback
  • Off-Topic / Stimmungsbruch
  • Mitläufer (Freundinnnen!)
  • Weltignorierer ("Spielerautismus")
  • aus der Rolle fallen
  • Regelresistenz
  • Simulatoren :)
  • Hyperkreativität
  • NSC-Mörder
  • Charakterneid
  • Schummeln
  • Ekel-Fantasien
  • Raucher (hier gab es Applaus)
  • Unzuverlässigkeit

Am Schluss machte Andreas nachdrücklich Werbung für das Tanelorn, die Spielleiterwerkstatt und warb um neue Workshopleiter. Insgesamt ein sehr gelungener Workshop.

Tobias Hamelmann, Lars Schiele: Feinde, Fallen, Finsternis

Die DSA- und "Engel"-Autoren hielten, man kann es nicht anders ausdrücken, den ultimativen Dungeon-Workshop. Von allgemeinen Charakteristika über detaillierte Kategorien (Bewohner, Geheimnis, natürliche Anlage, Linearität, Richtung) bis zu Themen wie "Verlaufen trotz Mitzeichnen" und "Dungeons und Plots" behandelten sie kenntnisreich und unterhaltsam alles, was das Dungeondesign ausmacht. Dabei bezogen sie das Publikum ausführlich mit ein und geizten nicht mit Beispielen. Alles in allem ein Workshop, den man gern mal wieder sehen möchte.

Andreas Warnatsch: Der Schurke im Rollenspiel

Der originale Subtitel "Bösewichter in Literatur und Film" hatte es leider nicht ins Programmheft geschafft. Andreas stellte populäre Beispiele für Gegenspieler vor, Norman Bates, den weißen Hai, Darth Vader und wie sie alle heißen (mit Fotowand!) und ging auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie die Frage, warum es darunter so wenige Frauen gibt, ein. Ich blieb allerdings nicht bis zum Ende, da ich noch eine Hälfte von

Thomas Finn, Olga Krouk: Guter Plot gegen Schreibblockade

mitnehmen wollte. Thomas und Olga wandten sich mit diesem Workshop an (Hobby-)Autoren und zeigten, wie man mit bewährten Plotschemen einer Schreibblockade zu Leibe rückt. Drei-Akt-Schema, Plot Points, Relationship Maps durften da ebensowenig fehlen wie Campbells Heldenreise. Das Ganze wurde engagiert und mit Tafelbild den etwa 30 Zuhörern präsentiert. Der Inhalt war zwar dem Fortgeschrittenen nicht neu, aber es war sehr schön, all diese Techniken von Praktikern im Zusammenhang und mit Beispielen vorgestellt zu bekommen.

Eigenes

Ich selber war auf dem NordCon 2010 mit zwei Programmpunkten vertreten:

"Jeepform, Turku, 360 Grad - Die Zukunft des Rollenspiels" stellte die Entwicklung vom Tischrollenspiel bis zu avantgardistischen Selbsterfahrungsspielen in Skandinavien vor und warf die Frage auf, ob Rollenspiel als Medium und Methode noch mehr zu bieten hat als das, was aktuell in Deutschland gespielt wird. Folien und Skript stehen demnächst auf der Spielleiterwerkstatt.

Zusammen mit Lars-Hendrik Schilling hielt ich den Workshop "Der Spieler, das unbekannte Wesen". Hier ging es um Spielertypen und -vorlieben, wie man sie erkennt und wie man darauf eingeht.

Florian Berger, Lars-Hendrik Schilling: Der Spieler, das unbekannte Wesen auf der Spielleiterwerkstatt

Fazit

Der NordCon 2010 war für mich einer der besten der letzten Jahre. Nicht nur, dass Wetter, Leute, Lesungen und Workshops großartig waren; die Kritik und Ideen, die ich letztes Jahr vorgetragen hatte, fruchteten in einer besseren Vernetzung der Vortragenden und in einer zufriedenstellenden Dokumentation der Workshops.

Der NordCon darf inzwischen ohne Übertreibung als Deutschlands bedeutendster Kristallisationspunkt für die systemübergreifende Theorie und Praxis des Pen&Paper-Rollenspiels bezeichnet werden, und die Organisatoren haben noch Pläne für die nächsten Jahre. Man darf gespannt sein - und sollte sich den 3. bis 5. Juni 2011 schon mal frei halten!

Florian Berger, im Juni 2010