Rezension Margarete Stokowski: "Untenrum frei"
Kein Feminismus- sondern ein Freiheitsbuch, klug, persönlich, einstiegsgeeignet. Redet leider trotz anderer Ansage zu wenig von Sex. Hat wiederum großartige Haptik und Schrift. Fazit: macht Lust auf mehr!
Schon mitten beim Lesen von Margarete Stokowskis "Untenrum frei" ist mir eine Verwandtschaft zu Charlotte Roches "Schoßgebeten" aufgefallen: beides Bücher, die unter dem Deckmantel eines bestimmten Themas daherkommen - oder angekündigt werden - um den dann abzuwerfen und höchst lesenswert etwas ganz anderes zu verhandeln. "Untenrum frei" ist nämlich kein Buch über Feminismus. Es ist ein Buch über Freiheit und Macht, und darüber, was die mit Menschen machen, und was Menschen mit ihnen machen.
Für Menschen, die im Thema stehen, erzählt "Untenrum frei" nichts Neues. Es punktet dafür einerseits mit einer klugen aktuellen Bestandsaufnahme, unterfüttert mit jeder Menge Verweisen, und ist damit schon mal das nahezu perfekte Einstiegs- und Verschenkebuch, das mensch allen Pubertierenden, allen Cousins und Cousinen, allen Patenkindern und guten Freunden auf den Nachttisch legen möchte. Andererseits mit einem dem Jahrgang der Autorin geschickt angemessenen persönlichen Erzählen: das lange, anregende Nachtgespräch in der WG-Küche, zwischen zwei Buchdeckel verpackt.
Einziges Manko des Buches: dort, wo Klartext wichtig wäre, bleibt die Autorin im Nebulösen. Übergriffe schildert sie deutlich und bedrückend; einseitiger geskripteter Sex und sein Verhältnis zu Spaß und Freiheit der Beteiligten bekommt mehrere Seiten; aber freiwilliges, selbstbestimmtes, befreiendes Miteinanderrummachen handelt sie mit einem Adjektiv ab: "schöner Sex". Das ist angesichts des wichtigen Themas, angesichts der Aussicht im Vorwort, in den Verhältnissen das Licht einzuschalten und aufzuräumen, bedauernswert wenig. Selbstverständlich sind Vorlieben und Vorgehen der Autorin ihre Privatsache, aber eine Handvoll Gedanken und Erfahrungen zur Geisteshaltung, zum Loslassen und Entdecken hätte ich schon erwartet. So kann mensch das Buch jetzt aus der Hand legen und immer noch das Gefühl haben, irgendwo da draußen wären diese befreiten Menschen, die da irgendwas irgendwie anders machen, "schönen Sex" haben, der ihnen so selbstverständlich ist, dass er keiner Erläuterung bedarf, keine Ahnung wie und wie die da hin kamen, klar bleibt: du gehörst jedenfalls nicht dazu. Hier macht das Buch die Tür zu. Schade.
Zum Buch selbst ist zu sagen, dass die Rowohlt Hardcover-Ausgabe ein außergewöhnlich bibliophiles Produkt ist: edelster Kartoneinband aus zwei Materialien, wunderbares Papier und sehr ästhetischer Satz aus der Mercury für wunderbare Lesbarkeit. Wer es also nicht verschenken möchte, kann es immer noch als Objekt bestaunen. Und es eignet sich hilfsweise auch sehr gut, um anderen damit bei Bedarf auf den Kopf zu hauen.
"Untenrum frei" liest sich wie der erste von mehreren Bänden. Stokowski sagt selbst, sie stelle einen "Haufen Fragen und Meinungen" (S. 9) vor, der "als Anfang, aber nicht als Ende einer Diskussion dienen" (S. 9) kann. Und weiter: "Das Aussprechen war nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt schmeißen wir etwas um." (S. 196) Ich bin außerordentlich gespannt auf den zweiten Band - oder Schritt, je nach dem. Jedenfalls: bitte, mehr!