Der Aufstieg des Rechtspopulismus als Repräsentationskrise
Der 2016 zu beobachtende Aufstieg des Rechtspopulismus hat weniger mit Rassismus oder anderen -ismen zu tun als mit einer gefühlten Nicht-Repräsentation mächtiger Teile der Wählerschaft. Gegenbewegungen sollten — auch — dort ansetzen.
Einwurf vom rechten Rand
Die im Folgenden ausgebreiteten Gedanken nahmen ihren Anfang, als man mir Roger Köppels Artikel "Warum wir den angeblichen Populisten dankbar sein sollten" (19. 6. 2016) mit der Bemerkung "äußerst streitbar" rüberschob. Ich finde den Artikel überwiegend unsäglich. Er enthält immerhin drei Punkte, denen ich zustimme:
- Ein Populismus-Vorwurf ersetzt bequem die Sachdebatte. Das ist nicht gut.
- Der Zulauf zur neuen Rechten speist sich aus dem Gefühl der Nichtrepräsentanz durch etablierte Politik.
- Bessere Lösungen müssen die Hetzer überflüssig machen.
Der Rest ist unterste Schublade: Provokateure, die schon von selbst im Abseits landen werden; eine AfD, die doch nur an Adenauer und Brandt anschließt; "Totschweigen" von Missständen; das kann alles weg. Nehmen wir ihn als Stichwortgeber, den Herrn Köppel, und reden über Repräsentation und Nicht-Repräsentation.
Alle einfach doof und gut?
Ich blicke mit Staunen auf die hilflos altbackenen Erklärungen, mit denen manche Mitmenschen erst den Erfolgen der AfD und jetzt, ganz frisch, in den USA der Wahl Trumps zum Präsidenten zu Leibe rücken: deren Wähler seien bestenfalls Menschen in Wirtschaftsnöten, schlimmstenfalls alles reaktionäre Rassist- und SexistInnen. Als Ossi kennt man das; seit den 1990ern sind das sie Schubladenerklärungen, wenn der Osten mal wieder die Republik aufschreckt, und sie erhellen heute so wenig wie je.
Meine These — schon eine Weile, auch wenn sie jetzt nach der USA-Wahl wohlfeiler erscheint — ist:
Wer so wählt, fühlt sich von der aktuellen Politik, ob innerhalb oder außerhalb von Regierungsverantwortung, nicht mehr abgebildet.
Und das halte ich für erheblich demokratiegefährdender als Rassis-, Sexis- oder Nationalismus. Die, wohlgemerkt, demokratiegefährdend genug sind, herzlichen Dank; sie sind aber nicht die breiten oder alleinigen Triebkräfte hinter der Zuwendung zum Rechtspopulismus.
Ich bitte beides zu beachten: um Nicht-Repräsentation geht es, ja, aber es geht genauer um gefühlte Nicht-Repräsentation. Möglicherweise einen Irrtum also — was nicht trivial ist, auch Recht und Gesetz kennen Irrtümer — aber das Faktische ist dafür unwesentlich. Der Glaube reicht aus.
Frankreich und Front National: "Wie ist es möglich, so viele Menschen im politischen Alltag zu ignorieren?"
Dankenswerterweise teile ich diese Sichtweise mit erheblich klügeren und engagierteren Menschen, etwa Didier Eribon, der sie im Interview "Ihr könnt nicht glauben, ihr wärt das Volk" (4. 7. 2016) in der sonst vielfach nervigen ZEIT so schön auf den Punkt bringt, dass ich mich dreist aufs Zitieren verlege:
"Sie [Ebrons Mutter] ist einfach mit ihrer Situation unzufrieden und weiß nicht, wie sie es sonst ausdrücken soll. Beim Brexit ist es ähnlich: Die Leute haben nicht gegen die EU gestimmt, weil sie glauben, danach wären die Dinge tatsächlich besser. Sie wollten vor allem ihre generelle Ablehnung zum Ausdruck bringen."
"Die französischen Linken [...] sind jetzt ganz verblüfft, weil sie feststellen, dass es doch noch eine Arbeiterklasse gibt. Es ist tragisch, dass die Arbeiter erst für den Front National, die AfD und den Brexit stimmen mussten, um auf sich aufmerksam zu machen."
"Das Problem ist, dass Europa von einer Klasse regiert wird, die der britische Autor Tariq Ali einmal die "extreme Mitte" genannt hat: Diese Leute glauben, dass das, was den gut ausgebildeten Menschen in den Metropolen nützt, automatisch gut für alle ist. Das ist offensichtlich falsch: Es gibt in Europa sehr viele Menschen, die marginalisiert sind, die verzweifelt sind, die über das, was in ihrem Leben vor sich geht, wütend sind. Die nicht nur keine Arbeit haben, sondern die sich auch nicht mehr vorstellen können, dass sie jemals wieder einen Job bekommen werden oder dass es ihren Kindern eines Tages besser gehen wird. Und diese Leute haben kaum eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen: Wenn man keine Arbeit hat, kann man nicht streiken. Und wenn man einen Job hat, riskiert man, dass der befristete Vertrag nicht verlängert wird oder man während des Streiks nicht bezahlt wird, was sich viele schlicht nicht leisten können. Und wenn sie dann demonstrieren, wissen sie, dass das keinerlei Effekt haben wird, selbst wenn sie wie in Frankreich eine sogenannte linke Regierung haben."
"Die Leute, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, haben die aktuelle Regierung gewählt, bekommen aber nun zu hören, dass ihre Meinung keine Rolle spielt. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als nächstes Mal in Frankreich FN zu wählen, in Österreich FPÖ, in Großbritannien Brexit und in Deutschland AfD?"
"Aber sie haben ihr erstes Ziel erreicht: Plötzlich reden alle darüber, wer diese Leute sind und was sie wohl wollen könnten. Sonst kommen sie im politischen Diskurs schlicht nicht vor. Die Frage ist eher: Wie ist es möglich, so viele Menschen im politischen Alltag zu ignorieren? In Europa wissen die Eliten nicht einmal, dass es in ihren Ländern echte Armut gibt."
"Auch wenn man den Menschen fast jede Möglichkeit nimmt, sich politisch auszudrücken, werden sie immer eine andere Möglichkeit finden, sich Gehör zu verschaffen."
"Es ist natürlich wahr, dass es in der Arbeiterklasse Rassismus und Homophobie gibt. Das sind sicher keine Engel, auch meine Familie hat rassistische Ansichten. Aber meine Familie war auch schon rassistisch, als sie noch die Kommunisten gewählt hat. Sie sind heute nicht mehr oder weniger rassistisch als früher. Um also auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, warum meine Mutter gegen ihre eigenen Interessen stimmt: Wenn es eine linke Partei gäbe, von der sie sich repräsentiert fühlte, würde sie auch jederzeit für diese Partei stimmen, selbst wenn sie sich für die Rechte von Schwulen und ethnischen Minderheiten einsetzt. Niemand wählt eine Partei, weil er mit ihr in jedem einzelnen Punkt übereinstimmt. Wir wählen Parteien, weil wir in dem Weltbild, dass sie vor Augen haben, selbst vorkommen. Und viel mehr wollen die Arbeiter auch nicht."
Die aktuelle Krise, wenn wir es mal so nennen wollen, verstehe ich als eine Krise der Repräsentation: wer glaubt, bei Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, nicht gehört und berücksichtigt zu werden, wird versuchen, sich Gehör zu verschaffen und Einfluss zu nehmen.
Ja, ich weiß, dass das eine vollkommen banale Einsicht ist. Und so alt wie die Menschheitsgeschichte. Nur: ganz offenbar ist das nicht allen Beteiligten klar. Zumindest bis zur US-Wahl hagelte es Delegitimierungen allerorten. Und mit ehrlicher Abbitte an alle Unterdrückten: man kann auch sehr großen, lauten und faktisch mächtigen Gruppen das Gefühl geben, sie würden gesilenct — Silencing? — sprich, sie säßen nicht mit am Tisch und seien dafür auch nicht qualifiziert. Schlechte Idee. Sehr schlechte Idee.
Genau lesen: den Leuten das Gefühl zu geben, oder es aufkommen zu lassen. Das ist die schlechte Idee. Sich tatsächlich disqualifizieren geht immer.
USA und Trump: "Es geht nicht mehr an, einfach zu sagen, diese Leute sind nicht satisfaktionsfähig"
Ich möchte einen weiteren klugen Fürsprecher dieser These zu Wort kommen lassen: Hans Ulrich Gumbrecht, welcher der taz das Interview "Er ist White Trash, sie ist glücklich" (15. 10. 2016) gab.
"Es könnte die unabsichtliche geschichtsphilosophische Mission Trumps sein, die ihm selbst überhaupt nicht bewusst ist, auf die Situation des White Trash aufmerksam gemacht zu haben. Entsprechend könnte auch die AfD eine unfreiwillige Mission haben."
"Wir sprechen von einer über zwanzig Millionen großen Gruppe von amerikanischen Bürgern, die sich auch selbst White Trash nennen und mehrheitlich unterhalb der Armutsgrenze leben. Normalerweise wählen die nicht. Jetzt besteht die Möglichkeit und Gefahr, dass sie erstmals wählen gehen und Trump zum Präsidenten machen."
"Sie glauben, dass Trump sie respektiert. [...] Wenn er redet, dann erfüllt sich die Rede darin, dass er einen affektiven Kontakt mit seinen Hörern als Gegenwart heraufbeschwört. Jeweils spezifisch und konkret."
"Das höre ich immer wieder: Diese Leute sind so rassistisch und so verkommen, dass man sie nicht wirklich politisch berücksichtigen kann. [...] Was mich aber interessiert und Sie offenbar auch: Können Elemente eines lebenswerteren Lebens in dieser Einstellung stecken? Marx sagte, das Lumpenproletariat sei zu verachten, Bakunin sagte, es ist interessant. Und wir dürfen uns die Frage nicht ersparen, ob sich in einer solchen Reaktion Bedürfnisse artikulieren, die eine demokratische Berechtigung haben — und deshalb ernst zu nehmen sind."
"Es geht jedenfalls nicht mehr an, einfach zu sagen, diese Leute sind nicht satisfaktionsfähig [...]. Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre zentralen institutionellen Werte ziemlich intolerant durchzusetzen vermag und jeden sofort ins Abseits stellt, der mit diesen Werten nicht übereinstimmt."
Über kurz oder lang führt das meiner Ansicht nach zur Implosion genau dieses gebildeten, Mitsprache abwürgenden — ob grundgesetzkonform oder nicht — Establishments, und der von ihm gestützen liberalen parlamentarischen Demokratie. Und eine Implosion von Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechten reicht, historisch gesehen, ein Mal.
Von 1989 bis zur AKP
Ich wage hier mal die These, dass Nicht-Repräsentation eine starke Triebkraft in vielen Umwälzungen, aber ebenso in reaktionären Restaurationen ist.
Ein Beispiel für ersteres: die Wende 1989 in der DDR. Die Slogans "Wir sind das Volk", "Wir bleiben hier", "Freie Wahlen zulassen" sprachen deutlich. Und was richteten die Menschen ein? Runde Tische.
Zweitgenanntes zeigt etwa der Aufstieg und Wandel der AKP in der Türkei. Die bis jetzt ungebrochene, breite Unterstützung für Erdogan, die uns in Deutschland oft so unerklärlich erscheint, ist nicht zu verstehen ohne Kenntnis der Unterteilung in "schwarze" und "weiße Türken". Für die frommeren, konservativeren, ländlich geprägteren Menschen erscheint Erdogan als der Aufräumer, der diesen ganzen liberalen, progressiven, urbanen Unsinn zurückdrängt und einhegt. Wem da nicht der Gedanke an die US-amerikanischen Flyover States auf den Kopf klopft, muss meiner Meinung nach schon mit einer seligen Ignoranz gesegnet sein.
Womit wir umgehen müssen
Klarstellung: ich stimme hier überhaupt nicht in den Chor von "wir müssen alle ernst nehmen", "wir müssen alle Sorgen berücksichtigen" etc. ein. Ich bin da völlig bei Sebastian Gierke, der in der Süddeutschen Zeitung mit deutlichen Worten klar gemacht hat, "Was uns Trumps Sieg lehren muss" (14. 11. 2016) — und was nicht.
Nein, mein Punkt ist ein anderer. In jeder Gruppe finden sich immer Menschen, die meinen, nicht genug mitbestimmen zu dürfen. Und zwar unabhängig davon, ob das tatsächlich so ist; oder ob das, was sie wollen, mit den grundlegenden Regeln der Zivilisation vereinbar ist.
Wer die fundamentalen Regeln nicht befolgt, fliegt zurecht sofort raus. Ich konnte bisher aber hoffentlich auch zeigen, dass wir mit feineren Strukturen noch eine ganze Menge anderer an den Rand drängen.
Auf diese Weise derepräsentierte Kreise, ob legitim oder nicht, werden sich, wie Ebron oben sagte, Macht verschaffen, bis sie sich wieder am Tisch oder Hebel fühlen. Damit müssen wir umgehen, und darauf will ich hinaus.
Der Umgang mit ihnen kann Unterdrückung sein, oder Einlullen, oder tatsächliches Einbinden, ich komme noch dazu. Wenn das fehlt oder nicht greift, dann gärt und grollt es mächtig, und wenn das System die seltene Konstellation bietet, einen großen Hebel drücken zu können, dann geschieht das, was wir gerade um uns rum beobachten können.
So gesehen haben wir aktuell zwar durchaus Probleme mit Nazis, aber kein Naziproblem: es ist viel schlimmer.
Ich probier mich, die deutschen Verhältnisse in den Blick nehmend, mal in Differenzierung.
Was Pegida angeht, ist die Sache noch einfach. Deren handzahmes Positionspapier gibt nicht viel her; die Parolen und Forderungen vor Ort und in Online-Netzwerken — ich verlinke mal nicht direkt, eine Suche fördert die schnell zutage — sind deutlicher und stehen quer zu Menschenrechten und Grundgesetz. Damit sitzen sie in trauter Gemeinschaft mit allen möglichen rechtsextremen Strömungen:
- "NPD und Pegida nähern sich an" (18.05.2015)
- "Arbeitsteilung auf sächsisch" (26. 7. 2015)
- "Die Entwicklung von "Thügida" in Thüringen" (19.12.2015)
Es gilt das Gesagte: klar dürfen auch RassistInnen, RevisionistInnen und MenschenfeindInnen schmollen, weil sie nicht Bestimmer sein dürfen. Nur darf das nichts an der Sache ändern: wer Grundregeln nicht respektiert, darf nicht mitspielen. Ende, aus, bitte warten Sie draußen.
Bei der AfD sehe ich die Sache erheblich komplizierter. Tatsächlich versammelt die an der Basis selbst nach der Lucke-Abspaltung noch immer eine große Bandbreite von rechtskonservativen bis rechtsextremen Vorstellungen. Damit hat meiner Meinung nach noch keiner einen angemessenen Umgang gefunden.
Die radikale Linke aktiviert ihre Nazi-Reflexe und geht gegen AfD-Veranstaltungen so vor, als wenn ihnen dort überall und jederzeit der rechtsextreme Heimatschutz entgegentreten würde. Das hilft aber nur der AfD, die diesen Auslöseknopf sehr gut kennen und mit kindischer Freude darauf herumpatschen: etwas "Heimat" hier, etwas "härter Abschieben" da, und schon bekommt man seine eigene Antifa-Demo. Da müssen die noch nicht mal den Schießbefehl auf Geflüchtete bemühen. Na klar ist Protest auch gegen Vorformen menschenfeindlicher Politik angezeigt, aber die Gleichsetzung der kompletten AfD und ihrer Wählenden mit Nazis mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild löst kein Problem.
Die ehemaligen Volksparteien, die besonders rechtsaußen ihre Integrationskraft verloren haben, versuchen sich hilflos im rechts überholen. Das kommt zu spät und geht auch nicht so schnell: die AfD campt vorerst vergnügt auf der geräumten Position und lässt sich da so einfach nicht wegdrängeln. Kurzfristig hilft das also auch nicht, insbesondere wenn dabei noch der Eindruck rumschwirrt, die extremen Positionen der neuen Rechten wären schon irgendwie okay.
Es hilft meiner Meinung nach auch hier wieder nur Aufteilen:
- Verfassungsfeindliche Ideen sind nicht zu diskutieren, sondern zu bekämpfen. In Taten, mit Macht und Leidenschaft, und zwar von allen, die sich als verfassungsgemäß empfinden. Schaue ich mir die Liste der für nichtig oder verfassungswidrig erklärten Bundesgesetze seit 1990 an, bekomme ich allerdings Zweifel, ob derzeitige und ehemalige Regierungsbeteiligte die Sache mit dem Grundgesetz, das sie da verteidigen sollen, alle verstanden haben.
- Vom Linksliberalgrünöko bis zur verfassungspatriotischen Hausbesetzerin müssen wir uns klar machen, dass das Grundgesetz, so, wie es ist, eine ganze Menge Gesellschaftsmodelle zulässt. Abschottung gegen Menschen ohne bundesdeutschen Pass; ein konservatives Familienbild; geregelte Überwachung; minimale Umsetzung der Asylpflichten; all das muss keiner mögen — und ich tue es mit Sicherheit nicht — aber es sind de jure absolut zulässige Positionen. Ich glaube, dass vielen, besonders links der Mitte, dieser Fakt irgendwo unterwegs entglitten ist. Alles, was im Rahmen der Grundregeln bleibt, hat das Recht gehört und, bein entsprechender Mehrheit, umgesetzt zu werden. Auch unter dem AfD-Banner. So funktioniert der Laden hier, und er funktioniert ziemlich gut so. Wem das nicht passt, der sollte aufhören rumzuheulen und rausgehen und Menschen mit Argumenten und Engagement überzeugen.
-
Den Menschen, besonders rechts der Mitte, ist klarzumachen, dass Demokratie
kein Wunschkonzert ist. Demokratie heißt für jede "Konsens und Kompromisse
mit einem Haufen Idioten", bitte um Entschuldigung, ein freundlicheres
Menschenbild habe ich gerade nicht zur Hand. Detlef Esslinger hat darüber sehr
gut in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: "Demokratie
— Wehe, wenn die Politik nicht liefert" (11. 5. 2016)
"Die Sehnsucht nach einfachen, klaren Antworten wohnt dem Menschen möglicherweise inne. Demagogen haben derzeit so viel Erfolg, weil sie ihrem Publikum weismachen, man müsse eine Sache nur endlich entschlossen wollen, dann erreiche man sie auch. Aber wie absurd das ist, zeigt sich ja schon an dem verhältnismäßig kleinen Problem der befristeten Jobs [...]"
"Demokratie ist eine Veranstaltung, in der jeder in jedem Augenblick mitverfolgen kann, wie unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Weltanschauungen miteinander ringen. Mal setzt der eine etwas durch, mal der andere — so hat die Republik ziemlich lange recht ordentlich funktioniert. Jetzt aber herrscht ein Zeitgeist, der die eigene Perspektive und das eigene unmittelbare Interesse absolut setzt. Und wehe, die Politik kann nicht sofort liefern, was bestellt worden ist."
"Zugegeben, Politiker meinen oft, diesen Eindruck erwecken zu müssen; anschließend wundern sie sich, wenn sie an den geschürten Erwartungen gemessen werden. Seltsam bleibt es dennoch."
Zum schwierigen Umgang mit all diesen Menschen hat Armin Nassehi auf dem taz.lab 2016 einige außerordentlich bedenkenswerte Worte gesagt. Verkürzt: wir müssen erstmal eine Sprache finden, um die Befindlichkeiten der gefühlt Unrepräsentierten zu diskutieren; und wir müssen uns klar sein, dass etwa die konservativen Kleinbürger gerade niemanden mehr vorfinden, von dem sie sich vertreten fühlen. Wir sollte sie spüren lassen und ihnen begreiflich machen, dass sie, wenn sie sich an die Regeln halten, mitspielen können. Sonst fackeln sie uns nämlich die Bude ab.
Was tun?
Wer mir bis hierher gefolgt ist: vielen Dank. Ich dämpfe aber schon mal Erwartungen, dass jetzt die auflösende Pointe kommt, wie mit der Gemengelage zu verfahren sei. Ich weiß es auch nicht genau.
Historisch gesehen funktionieren Unterdrückung oder Einlullen, unabhängig von ihrem moralischen Wert, ganz gut. Das sehe ich auch als den herausragenden Grund, warum nicht alle Naselang eine tatsächlich oder gefühlt unrepräsentierte Gruppe eine Revolte anzettelt. So gesehen ist es bemerkenswert, dass wir gerade in mehreren sehr unterschiedlichen Kulturen Konstellationen vorfinden, die es einer großen Zahl Frustrierten erlauben, mit legalen Systemmitteln gefährliche Idioten auf höchste Machtposten zu hieven.
Wenn es darüber hinausgehen soll, werden wir schwerlich um eine genaue wie Abstand wahrende Analyse herumkommen, und die wird uns vermutlich immer noch keine klare Handlungsanweisung auf dem Teller packen. Die Richtung aber, in die Überlegungen gehen können, haben Michael Seemann mit "Die Globale Klasse — Eine andere Welt ist möglich. Aber als Drohung." (24. 10. 2016) und der von ihm referenzierte Andreas Reckwitz in "Zwischen Hyperkultur und Kulturessenzialismus — Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregimes" (24. 10. 2016) meiner Meinung nach brauchbar angepeilt.
Was also tun? In Zitaten gesprochen:
"Ich bin auf ihrer Seite, wenn es gegen die Verwüstungen geht, die die neoliberale Politik unserer Regierungen in unserem Staatswesen anrichtet, aber ich muss sie bekämpfen, wenn sie für den Front National stimmen." -Didier Eribon
"Muss nicht die nächste Regierung die Probleme dieser Leute endlich politisch angehen? Damit meine ich nicht die Mauer, ich meine die Armut, die ideologische Verblendung, die Staats- und Politikphobie." -Hans Ulrich Gumbrecht
Diskutieren können wir das auf Twitter.
So. Für alle, denen das zu bedrückend war, ist hier eine Katze mit einer Zitronenschale auf dem Kopf.
Siehe auch
"Der unbändige Zorn auf die Städter" (14. 11. 2016) — Politikwissenschaftlerin Katherine Cramer zu den Gründen für den Wahlsieg von Donald Trump
"Der Erfolg der AfD wundert mich nicht" (22. 10. 2016) — Interview mit Wilhelm Heitmeyer:
"Zwischen 2009 und 2011 stiegen bei diesem Potenzial die wahrgenommene Einflusslosigkeit als ein Grundelement von Wut [...] deutlich an. Das war vor dem Aufkommen von Pegida oder AfD."
"[...] stellt sich die Frage, ob man als Einzelner oder als Gruppe bei öffentlichen Angelegenheiten eine Stimme hat und wahrgenommen wird, denn dadurch entsteht moralische Anerkennung als Bürger. [...] Überall, wo es massive Anerkennungsdefizite gibt, kommt es zu Abwendungen oder Rückzügen. Wer sich in seinen Umgebungen nicht anerkannt fühlt, wendet sich jenen zu, in denen es Anerkennungsquellen gibt. Das können Gruppen sein, die gesellschaftlich nicht anerkannt sind."
"Man darf den Begriff Integration nicht reservieren für Migranten und jetzt Flüchtlinge. Auch viele der sogenannten seit Generationen hier lebenden Deutschen sind nicht integriert, insbesondere was die Anerkennungsgefühle und -erfahrungen angeht."