florian berger

Entgleisung durch Entglasung

Kommentar zum Scheibeneinwurf bei Biomare Leipzig am 9.8.2016

Sachen zu beschädigen oder zu zerstören ist nicht per se ungesetzlich, strafbar oder moralisch verwerflich. Im beispielhaften Falle, dass jemand versucht, die verfassungsgemäße Ordnung abzuschaffen, ließe sich sogar das Grundgesetz entsprechend weit rechtfertigend auslegen. In der alltäglichen politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzung hat es sich jedoch bewährt, wenn die Mehrheit verhindert, dass die Einzelne morgens zum Hammer greift und kaputthaut, was ihr gestern nicht gepasst hat.

Am 9. August 2016 haben laut Polizeibericht gegen 1:00 Uhr morgens zwei Unbekannte die Scheiben des Biomare-Bioladens in Leipzig-Connewitz eingeworfen. (Die L-IZ berichtet.) Dem vorausgegangen war eine Kampagne des Geschäftes, welches Leipzig mit der Botschaft "Kapitalismus ist das Resultat deiner Weigerung, es besser zu machen" unübersehbar zuplakatierte und in sozialen Netzwerken deutliche Kontroversen hervorrief.

Zwei Menschen sind kein Kiezaufstand, 3000 € Schaden nicht existenzgefährdend, man könnte gut sagen, das gehöre strafverfolgt, sei aber im Übrigen der Aufregung nicht wert. Mich ärgert das Bioladen-Gebashe aber schon eine Weile, also werde ich anlässlich des Vorfalles mal was dazu sagen. Das wird eine Wutrede, Freundinnen und Freunde, seid gewarnt.

Mich kotzen zwei Sachen an.

Erstens eine Haltung, Sachbeschädigung im privat-zivilen Umgang für ein legitimes Diskursmittel zu halten, und sie sich vielleicht noch hinter der Gardine herbeizuwünschen.

Es gibt exakt null Unterschied zwischen der Entglasung eines Bioladens und einer unbesetzten Geflüchtetenunterkunft. Null. In beiden Fällen geht es darum, dem ausgemachten Gegner wirtschaftlich zu schaden, Angst zu verbreiten - nächstes Mal, wenn Menschen drin sind? - und ganz allgemein in einem feigen, asymmetrischen Akt des Faustrechts dümmster Coleur Macht und Herrschaft zu demonstrieren. (Ja, das hast du richtig gelesen.)

Ich lasse mich sehr gerne auf theoretische Diskussionen ein, ob und in welchen Fällen Entglasungen ¹, Bekleben, Beschriften, Bebuttersäuren von Repräsentations- und Verwaltungsobjekten des Staates legitim sein könnten, das wird ja gerne als Verzweiflungstat gegen sonst nicht direkt konfrontierbare strukturelle Gewalt positioniert. Können wir drüber reden. Aber bei einer Bioladenkette, trotz Kapitalmacht, steht eine auch nur ansatzweise vergleichbare Gewaltausübung von deren Seite für mich völlig außer Frage.

Stattdessen versucht diese Aktion, aber vor allem die Haltung "endlich bekommen die mal was ab", Faustrecht und Sachbeschädigung als legitimen Ausdruck von Unzufriedenheit und Ablehnung zu etablieren. Und das ist an sich schon dumm und hirnrissig, aber in Zeiten attackierter Geflüchtetenwohnungen ist es der größte denkbare Bullshit. Das ist "A-Team"-Logik: "es ist schon OK, Gewalt und Waffen anzuwenden, der Unterschied liegt darin, dass wir ja die Guten sind". Nicht nur könnte der Inhaber jetzt mit exakt der selben Rechtfertigung in Ruhe Fischladen und Könich Heinz entglasen, sondern im Grunde verbietet sich für Unterstützende solchen Vorgehens fürderhin jede Kritik an Angriffen auf Hausprojekte und Geflüchtetenunterkünfte. Ziselierter moralischer Relativismus ist das Letzte.

Zweitens diese verbreitete passiv-aggressive Ablehnungs- und Rechtfertigungshaltung, Biomare sei ein Laden für gentrifizierende Besserverdienende, "die gerne etwas mehr Geld für ein Bio-Dinkelbrot ausgeben [...], aber der Wochenendflug nach Barcelona muss bitte schön drin sein.". Wie bitte konstruiert die Kundschaft eines Unternehmens in irgendeiner Form die Legitimität eines solchen Angriffs? Ja klar gibt es eine Zielgruppe. Aber man darf sich gerne noch etwa an Lonsdale erinnern, was sicher nicht vergleichbar ist, aber vielleicht als Fingerzeig dient, dass man zwischen Kunden und Anbieter schon auch differenzieren darf.

Ich selber habe als damaliger Leipziger Hartz IV-Bezieher fast alle Lebensmittel im angegriffenen Biomare-Geschäft gekauft und nur ein paar woanders (ich ziehe bei halbwegs vernünftig produzierten Lebensmitteln Regionalität vor, während Biomärkte oft keine Probleme mit dem CO2-Fußabdrücken von Alpenbutter und Mittelmeerobst haben). Ich kann dieses Gejammer darüber, wie das alles nur für Upper Class ist, deshalb schon ewig nicht mehr hören. Deutschland hat den härtesten Lebensmittelmarkt der Welt, mit einer unbegreiflich geringen Marge. Biomare & Co. sind nicht - wie etwa Apple - aus Marketinggründen überteuerter Scheiß, damit man das geile Gefühl hat, sich mit Goldfolie den Hintern abzuwischen, sondern das sind die normalen Lebensmittelpreise für vernünftig erzeugtes Essen. Penny-, LIDL- und ja!-Preise sind dagegen, das muss jedem einigermaßen halbwachen Menschen klar sein, nur machbar, wenn auf billigstes, umweltschädlichstes und erzeugerunfaires Produzieren gesetzt wird. Es wäre nicht mal unvernünftig, daraus eine verdammte moralische Pflicht abzuleiten, LIDL & Co. den Rücken zu kehren und fürderhin demütig Biomarkt-Preise zu zahlen und sein Konsumverhalten entsprechend anzupassen. Dieses Geheule von "zu teuer für die Armen"! Also faire, nachhaltige, artgerechte Lebensmittel zu ALDI-Preisen? In welcher mittelfristig herstellbaren Ökonomie soll das funktionieren?

Aber nee, fein nen Apple zuhause stehen haben, mit nem iPhone rumrennen, billigst einkaufen und dann auf die pompös vorfahrenden Biomare-Kunden schimpfen und nem Biomarkt Steine in die Fenster wünschen, das ist derart bigott, dass einem von der kognitiven Dissonanz der Kopf platzen müsste. Was ich wiederum keinem wünsche!

Die Veränderung muss immer mit einem selbst beginnen.

"Dagegen" und "doof!" schreien kann jede.

Was mich zum letzten Punkt bringt.

Fakt ist: man muss den Biomare-Chef Malte Reupert keinesfalls mögen, aber er stellt sich den Diskussionen und Widersprüchen. Er kleistert die Stadt an jeder möglichen und unmöglichen Ecke mit einem Spruch zu, der KapitalismuskritikerInnen wie unwohle Herdenmitlaufende gleichermaßen herausfordert; ungeachtet des Urhebers ein Satz wie ein Hammerschlag, eine öffentlichkeitswirksame Aktion, die weder die organisierte noch die Untergrund-Linke in Leipzig in Jahren hinbekommen haben. Und auch wenn er sich meinetwegen willig dem System prostituiert, erhebt er sich nicht über andere, sondern sagt konsequent und immer wieder: "Für mich ist entscheidend, dass Du von Besserwisser zum Bessermacher wirst und aufhörst Dir anzumaßen, über Menschen und Projekte zu urteilen, von denen Du ganz offensichtlich keine Ahnung hast. Und wenn Du wirklich was besser weißt, weil Du es besser gemacht hast, dann lerne ich bereitwillig von Dir." [Quelle] Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wenn Biomare und seine Kunden einen ärgern, dann gibt es dutzende clevere Wege, sie und die weitere Öffentlichkeit das wissen zu lassen. Steine in Scheiben gehören ganz sicher nicht dazu.

Diskutieren können wir das auf Twitter.

UPDATE: Auf linksunten gibt es jetzt einen Thread dazu: "Glasbruch für Biomare in Connewitz". Antilopengang zitiert und Steinewerfen als "Weigerung, diesem Etikettenschwindel aufzusitzen" euphemisiert. Es gilt alles oben Gesagte.

¹ Der Fairness halber: hier die Stellungnahme von Jule Nagel zum Vorfall. (Zurück)